Globalisierung - Kulturangleichung?

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Was habe ich hier nur angefangen! Zunächst fand ich es spannend, über die Bücher einiger Engländer mit ihren Erfahrungen in Frankreich zu berichten. Jetzt sehe ich, dass Erfahrungsberichte von Menschen, die in "fremden" Ländern leben und die Unterschiede im täglichen Leben zu ihrer Heimat schildern, offenbar sehr populär sind - und sie mir meist auch recht gut gefallen. Früher waren es Reiseberichte aus exotischen Ländern, die die Leser gefesselt haben, heute sind es z.T. die Schilderungen der subtileren Unterschiede des vertrauten Urlaubslandes, die uns reizen. Ich hoffe, die Leute schreiben nicht schneller, als ich mit dem Lesen mithalten kann. Ich werde versuchen, auch mit den Besprechungen hier am Ball zu bleiben...

Die Popularität hat wahrscheinlich damit zu tun, dass wir Menschen durch die Globalisierung mehr und mehr aus unserem eigenen Kulturkreis herauskommen: Abgesehen vom Internet, günstige Flugreisen fördern den grenzüberschreitenden Tourismus. Urlaub in Afrika, Süd-Amerika oder Asien ist heute nichts Besonderes mehr. Beruflich haben viele von uns mit Kollegen oder Kunden im Ausland zu tun (von den überseeischen Eigentümern, den "Heuschrecken", die mittlerweile die Firmen besitzen, soll hier jetzt mal nicht die Rede sein...).
"An Englishmean in Paris"
Und wer nicht selbst ins Ausland kommt, zappt sich im Fernsehen mühelos für 30 Minuten nach Neuseeland. Das gleiche gilt natürlich auch für die Bewohner anderer Staaten, die zu uns kommen, als Touristen, oder um hier zu arbeiten und zu leben.

Teils ängstlich, teils neugierig kommt man in Kontakt mit zunächst fremden Menschen, deren Gebräuche und Eigenarten man aber nach und nach erkennt und versteht. Irgendwann erreicht man den Punkt, wo man seine eigenen Gewohnheiten in Frage stellt und z.T. als "merkwürdig" begreift.
"A year in the merde"
Nun neigen einige dazu, diese neuen Erfahrungen aufzuschreiben, während andere gerne Bücher lesen, um Ihre Erkenntnisse bestätigt zu bekommen. Aha, da macht jemand genau die gleichen Beobachtungen... Langsam werden Vorurteile verworfen - oder bestätigt!

Wenn dann ein Brite mit typisch (!) Englischem Humor schildert, wie er mit seiner landestypische Erziehung in Kontakt mit z.B. dem "typischen" Leben in Frankreich kommt - dann ist ein Schmunzeln programmiert und bald ein evtl. Bestseller erschienen. Als Deutscher Leser hat man doppelten Spaß: man lacht mit dem Engländer über die Franzosen - und über den eigenartigen Engländer!

So erschien von dem Englischen Autor Michael Sadler 2000 das Buch "Un Anglais à Paris" - und zwar zunächst auf Französisch! 2002 wurde dieses Buch auch auf Englisch herausgegeben unter dem Titel "An Englishman in Paris - L 'education Continentale". Daraus entwickelte sich dann eine Serie, 2005 erschien "An Englishman a La Campagne - Life in Deepest France" und 2007 "An Englishman Amoureux - Love in Deepest France".

Die Bücher von Michael Sadler lesen sich etwas schwerer; da er als Engländer in Frankreich französisch lehrt, beherrscht er beide Sprachen natürlich sehr gut. Und er hat einen überwältigenden Sprachschatz, den er auch reichlich einsetzt. Wenn man als Deutscher beim Lesen des Englischen Buches wirklich jedes Wort verstehen will, sollte man schon ein Wörterbuch daneben liegen haben. Aber selbst ein dicker Wälzer mit 120.000 Begriffen reicht stellenweise nicht aus.

Gelegentlich verzweifelt er selbst daran, dass seine Englischen Wortspiele in anderen Sprachen nicht funktionieren. Sehr amüsant ist aber sein genau so tiefgründiger Humor.

Dann verteilte ein anderer Engländer, der vorher u.a. als Gag-Schreiber für die BBC tätig war und Anfang der 1990er Jahre nach Frankreich gezogen war, ein Buchmanuskript in 200er-Auflage an Freunde, bis er von einem Verlag entdeckt wurde. So erschien dann 2004 von Stephen Clarke "A Year in the Merde".

Dieser Buchtitel lehnt sich an das 1989 von Peter Mayle erschienene "A Year in Provence" an. Peter Mayle ist ebenfalls Engländer und interessanterweise hat er das Vorwort zu Michael Sadlers o.g. Buch "An Englishman in Paris" geschrieben.

Stephen Clarks Bücher lassen sich deutlich flüssiger lesen - und so entwickelten sie sich zu Bestsellern. Deshalb erschien 2005 dann "Merde Actually" und 2007 "Merde happens", nachdem 2006 schnell noch (die Leute kaufen ja so schön) die 10 Gebote (eigentlich 11...) zum Verstehen der Franzosen als "Talk to the Snail - Ten Commandments for Understanding the French" herausgebracht wurde.

In "Merde happens" brachte Stephen Clarke noch eine dritte Kultur ins Spiel: Die Hauptfigur und Ich-Erzähler Paul West reist in diesem etwas chaotischen Buch mit seiner französischen Freundin in einem Mini quer durch Amerika...

2008 erschien dann "Dial M for Merde", zunächst - wie üblich - als eine etwas größere und natürlich teurere, aber auch "nur" Taschenbuch-Edition. Inzwischen ist aber auch die "kleinere" Taschenbuchausgabe verfügbar. Dieses Buch spielt offen auf das beliebte Vorbild James Bond an. Es liest sich wiederum leicht, ist Action-reich, weniger chaotisch als "Merde Happens", hat aber etwas vom Charme des ursprünglichen "A Year in the Merde" verloren.

Die Bücher von Stephen Clarke sind inzwischen in viele Sprachen übersetzt worden. Die entsprechenden deutschen Titel sind in der Liste unten auf dieser Seite zu finden.
"Maria, ihm schmeckt's nicht!"

Da Bücher dieses Genres offenbar gut in die Zeit passen und gekauft werden, ist es logisch, dass auch Engländer, die in anderen Ländern leben, von ihren Erfahrungen berichten. Als langjähriger Deutschland-Korrespondent der Englischen Zeitung "The Times" kann Roger Boyes doch sicherlich auch den Unterschied zwischen Deutschem und Englischem Humor beschreiben?

Das hat er 2006 recht erfolgreich in dem Deutschen Bestseller "My Dear Krauts - wie ich die Deutschen entdeckte" getan. Auch leicht und amüsant zu lesen - aber man darf die Deutschen nicht zu sehr mit feinsinnigem Englischen Humor überfordern. Die Gags sind deshalb manchmal doch etwas "Deutscher", direkter und nicht so versteckt.

Jeder Hit hat einen Nachfolger: 2007 erschien von Roger Boyes "How to be a Kraut - Leitfaden für ein wunderliches Land". Und da auch die Engländer eine gewisse Liebe zu Deutschland und den Deutschen hegen, wurde "My Dear Krauts" 2008 in England herausgebracht unter dem Titel "A Year in the Scheisse: Getting to Know the Germans" - im Titel deutlich anknüpfend an den Erfolg von Stephen Clarke.

Natürlich haben auch Deutsche Erfahrungen im Ausland gesammelt. Der Auslandskorrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Wolfgang Koydl, z.B. lebt nach Aufenthalten u.a. in Amerika seit 2005 in London. Eher Englisch-feinfühlig beschreibt er das heutige England im Vergleich zu seinen in den 70-er Jahren gesammelten Eindrücken der Emma Peel Zeit. Auch Unterschiede zu Amerika werden aus der Sicht der verschiedenen Generationen registriert. Sehr schön eine kleine Geschichte seiner kleinen Tochter, die zunächst in den USA zur Schule gegangen war. Sie traute sich nicht, die schlimmste Vokabel, die sie kannte - Hölle - auszusprechen; sie musste buchstabiert werden: " Äitsch - ieh - ell - ell ". Als sie dann in London einen Laden der French Connection UK sah, wies sie ihren Papa allerdings darauf hin, dass FCUK falsch geschrieben sei...

Als Rahmengeschichte dient der etwas langatmige Versuch, einen Termin bei der Queen zu bekommen, um rechtzeitig einen fundierten Nachruf auf die Queen für seine Deutsche Zeitung "auf Vorrat" zu schreiben. Insgesamt ist sein 2009 erschienenes Buch "Fish and Fritz" recht lesenswert.

Das England etwas Besonderes ist, stellen auch Menschen aus anderen Nationen fest, auch wenn deren eigene Kultur sehr von ihren Englischen Ursprüngen geprägt worden ist, wie die USA. Der Amerikaner (mit irgendwie Deutsch klingendem Nachnamen...): Greg Gutfeld schreibt über seine Zeit in England in dem Buch "Pork Scratchings" (in Englisch). Für uns Deutsche erscheinen die Engländer manchmal recht Amerikanisch, wenn man aber Greg Gutfeld liest, versteht man doch, wie schon oben beim Buch von Wolfgang Koydl angedeutet, dass England in (oder zumindest dicht bei) Europa liegt. Greg Gutfelds Buch ist eine Sammlung von 95 Episoden, die er zuvor für verschiedene andere Publikationen geschrieben hat. In ihnen erzählt er von seinem Leben in England, das offenbar größtenteils im (zum Leidwesen eines Amerikaners meist eiswürfelfreien) Pub stattfand.

Zurück zu Deutschland. Warum sollen nur Ausländer über Deutsche Merkwürdigkeiten schreiben? Leben hier nicht auch viele Ausländer, die sich die ein oder andere Eigentümlichkeit der Heimat erhalten haben? Sehr schön hat Jan Weiler 2003 darüber geschrieben in seinem Buch "Maria, ihm schmeckt's nicht!" Hier erzählt der ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung die Geschichte seines Italienischen Schwiegervaters Antonio, der als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen war.

Inzwischen (2009) ist dann auch der Film zu diesem sehr erfolgreichen Buch erschienen. Im Nachfolgebuch "Antonio im Wunderland" (2005) reist er dann mit Antonio in die USA. Natürlich prallen in dieser wunderbaren Konstellation wieder (mindestens) drei Kulturen aufeinander.

Wobei die USA als "Melting Pot" alleine eine lange Betrachtung des Zusammenlebens verschiedener Kulturen wert sind, die auch reichlich in der Literatur abgehandelt wird...

Weiter hier dann demnächst die Deutschen aus Sicht einer Französin in "Tour de Franz" von Cécile Calla (in Deutsch), Wolfgang Koydls neues Buch und die Besonderheiten einer deutsch-griechischen Familie von Stella Bettermann.

(ws)

Michael Sadler

Stephen Clarke

*: beide in einem Band: (dt. Ein Engländer in Paris und die Liebe, 2008)

Roger Boyes Wolfgang Koydl Jan Weiler Greg Gutfeld Cécile Calla Stella Bettermann

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Stand: 2017-01-16
 
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